Julian Nagelsmann und die Heim-EM: Der Erfolg steht über allem

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Julian Nagelsmann und die Heim-EM: Der Erfolg steht über allem

In einem Interview setzt der Fußball-Bundestrainer auf plakative Ansagen. Dahinter steckt ein Kalkül, allerdings ist das nicht ohne Risiko. Eine kommentierende Analyse.

Von Jörg Leopold

Julian Nagelsmann geht in die Offensive. Nachdem der Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in den vergangenen Monaten eher in der Verteidigung von dürftigen Leistungen der von ihm betreuten Auswahl gefordert war, hat er sich nun wortgewaltig in einem Interview mit dem „Spiegel“ zurückgemeldet.

Wichtigste Erkenntnis: Nagelsmann ordnet dem Erfolg bei der Europameisterschaft im eigenen Land alles unter – vor allem die Egos seiner Spieler. Wobei Erfolg nicht unbedingt mit dem Titel gleichzusetzen ist. „Wenn wir vier oder fünf gute Spiele machen, uns zerreißen, dann jedoch im Viertelfinale gegen eine Topnation ausscheiden, kann es für Fußballdeutschland trotzdem eine gute EM werden“, so der 36-Jährige.

Diese „gute EM“ ist für Nagelsmann alles, was zählt. Da sein Vertrag nur bis zum Ende des Turniers gilt, muss er sich über eine Weiterentwicklung der Mannschaft keine Gedanken machen. Es zählt das Hier und Jetzt, in gewisser Weise ist diese Europameisterschaft ein einziges Endspiel für den Bundestrainer. Entsprechend will er sie auch angehen.

„Es wird bestimmt der eine oder andere nicht nominiert werden, von dem viele denken, der sei sicher dabei“, erhöht Nagelsmann den Druck auf seine Spieler. Die Absicht dahinter ist klar: Er will die Bequemlichkeit aus den Köpfen bekommen, das Phlegma, das sich in den vergangenen Länderspielen durch die gesamte Mannschaft zog. Und Reizpunkte setzen.

Bei der Nationalmannschaft muss man sich unterordnen. Da ist man ein Diener für sein Land. Kimmich ist das.

Julian Nagelsmann im Spiegel über die Versetzung von Joshua Kimmich auf den Rechtsverteidiger-Posten.

Und das bedeutet für einige Spieler, Opfer zu bringen. Joshua Kimmich zum Beispiel wird zum Rechtsverteidiger degradiert. Eine Position, die ihm eher weniger behagt, aber die der Bayern-Spieler im Interesse des Teamerfolgs ausfüllen muss. „Bei der Nationalmannschaft muss man sich unterordnen. Da ist man ein Diener für sein Land. Kimmich ist das“, erklärt es Nagelsmann im Interview.

Damit werden Erinnerungen geweckt an Philipp Lahm, der einst davon träumte, auf der Sechser-Position zu spielen, an anderer Stelle aber wertvoller für die Mannschaft war. 2006, im WM-Eröffnungsspiel der Deutschen gegen Costa Rica, erzielte der damals erst 22-Jährige das erste Tor für Deutschland und das als nomineller Linksverteidiger. Auch dank dieser Initialzündung zum WM-Auftakt wurde das Turnier damals zum Erfolg. Und Lahm später zu einem der besten Außenverteidiger der Welt.

Mentalität könnte bei der EM vor Kreavität kommen

Nun verhält sich die Situation im Falle Joshua Kimmich etwas anders, die Rolle des Rechtsverteidigers ist nicht seine angestammte. Andererseits hat Nagelsmann ein Überangebot an Spielern in der Zentrale, das durch die Rückkehr von Toni Kroos eher noch ausgeprägter wird. Gute Außenverteidiger sind im DFB-Team hingegen seit längerem Mangelware.

Auf dem Papier macht das alles Sinn, Nagelsmann muss seine Spieler allerdings auch von seinen Ideen überzeugen können. Im Spiegel-Interview sagt er: „Wir müssen unser Statusdenken abstellen.“ Oder: „Wir müssen endlich anfangen, Fußball wieder zu arbeiten.“ Denn: „Die A-Nationalmannschaft liegt seit Jahren sportlich am Boden.“ Und zum Verhältnis von Mentalitäts- und Kreativspielern auf dem Platz meinte der Coach: „Diese Verteilung bei der Startelf müssen wir verändern.“ Ob solche Sätze helfen?

Spieler vom Format eines Leroy Sané allein werden Nagelsmann zufolge nicht reichen, um im Sommer bei der EM Spiele zu gewinnen.

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Es sind dies sehr plakative Aussagen, mit denen Nagelsmann seinem ihm zumindest von einigen Kritikern verpassten Image als Selbstdarsteller gerecht wird. Wobei er – und das macht ihn wieder nahbar – seine eigene Art kennt: „Ich habe nun mal andere Charakterzüge als zum Beispiel Jupp Heynckes.“ Die Frage ist nur: Geht dieses Sich-in-Szene-setzen womöglich auf Kosten des Verhältnisses zu seinen Spielern?

Als Bundestrainer ist er die meiste Zeit des Jahres vor allem am Telefon oder als Beobachter im Stadion gefordert. Und wenn ein sensibler Spieler wie Leroy Sané dann lesen muss, dass man nur mit Typen wie ihm „nichts gewinnen“ wird, bleibt das womöglich eher im Gedächtnis als der Nachsatz: „Ohne ihn aber auch nicht.“

Dass dieses Interview jetzt und in dieser Form veröffentlicht worden ist, folgt ganz offensichtlich einer Strategie des Bundestrainers. In einem Monat wird er seinen Spielern bei den Länderspielen gegen Frankreich und die Niederlande in die Augen sehen müssen und erklären, was er von ihnen erwartet. Immerhin ist dabei eines wohl sicher: Der Wunsch nach Erfolg dürfte Mannschaft und Trainer zusammenschweißen. Was nach der EM kommt, ist zweitrangig.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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