© picture alliance / zb / Bernd Wüstneck Intelligenzbestien: Die etwas andere Klugheit
Schon lange sucht der Mensch im Universum nach anderen intelligenten Wesen. Dabei hätte er längst fündig werden können: auf Erden. Jetzt entdeckt die Forschung allmählich die Intelligenz von Tieren.
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Schäferhunde, Border Collies, Cocker Spaniel, Golden und Labrador Retriever – über 1000 Hunde 13 verschiedener Rassen hat ein Forschungsteam der Universität Helsinki auf ihre Intelligenz hin getestet. In der wohl größten Studie überhaupt unterzogen sie die ein- bis achtjährigen Schoß-, Wach- und Hütehunde zwischen 2016 und 2022 der „smartDOG“-Testreihe, die Problemlösungs- und Erkundungsverhalten, Fähigkeiten zu logischem Denken und sozialer Kognitions und vieles mehr überprüft.
Zum Jahreswechsel veröffentlichten sie ihre Ergebnisse im Fachjournal „Scientific Reports“: Alle schnitten ähnlich gut ab, was das Kurzzeitgedächtnis und logisches Denken betraf, aber es gab erhebliche Unterschiede in sozialer Kognition, Impulskontrolle und räumlicher Problemlösungsfähigkeit. Am schlechtesten schnitt in den smartDOG-Tests eine sehr beliebte, wegen ihrer Gutmütigkeit insbesondere für Familien geeignete Hunderasse ab: Labrador Retriever. Als besonders intelligent erwiesen sich Border-Collies. Von den Hütehunden war schon zuvor bekannt, dass sie die Namen dutzender Objekte lernen und detaillierten Kommandos folgen können.
Das ist nicht nur spannend, weil Katriina Tiira und ihr Team nun nach den genetischen Ursachen für die Intelligenzunterschiede der Hunderassen suchen kann. Es ist umso erstaunlicher, weil die Verhaltenswissenschaft bis vor kurzem Intelligenz bei Tieren gar nicht für möglich hielt.
Fingerzeig von einem Papagei
Anfang der Achtzigerjahre schien es Ethologen sonnenklar: Intelligenz gibt es nur bei Menschen. Zwar könne man manchen Tierarten intelligent erscheinende Leistungen beibringen. Aber eigenständiges, kreatives und originelles Denken? Ausgeschlossen.
Doch dann kam Alex, ein Graupapagei. Bis zu seinem Tod 2007 vollbrachte der Vogel derart spektakuläre Denkleistungen kreativer und eigenständiger Art, dass man sie nicht länger als Zufallserscheinungen abtun konnte. Alex war von der Wissenschaftlerin Irene Pepperberg trainiert worden, die 1977 das Langzeitprojekt gleichen Namens startete (Avian Learning Experiment = Alex). Pepperberg wollte die kognitiven Fähigkeiten eines Vogels erforschen, ohne sein Verhalten interpretieren zu müssen.
Der Graupapagei lernte, sich in unserer Sprache zu äußern, was Tests in Form von Frage und Antwort ermöglichte. Nach jahrelangem Training konnte er geometrische Figuren benennen und sie in Material, Form, Farbe und Anzahl voneinander unterscheiden. Er begriff die Bedeutung von „null“, was Kindern erst im Vorschulalter gelingt. Sollte er etwas Unbekanntes benennen, schuf er sinnvolle neue Kombinationen aus Wörtern, die er kannte. Ein Kreis war für ihn ein „Nicht-Eck“ (none-corner), da er gelernt hatte, eine geometrische Figur anhand ihrer Ecken zu kategorisieren. Seine zigfach dokumentierten Fähigkeiten trugen wesentlich zum Umdenken in der Verhaltensforschung bei.
Langsam dämmerte es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern: Nicht die Tiere sind beschränkt, sondern die Untersuchungsmethoden der Verhaltensforschung. Denn tierische Intelligenz wissenschaftlich zu bestimmen, ist eine echte Herausforderung.
Wie fragt man ein Tier nach seiner Intelligenz?
Beispiele für ungeeignete Versuchsanordnungen gibt es zuhauf, etwa den „Spiegel-Test“ von 1970, mit dem nachgewiesen werden sollte, ob Tiere ein Bewusstsein ihrer selbst haben. Einer beliebigen Spezies wird eine Farbmarkierung am Körper verpasst, die sie dann vor einem Spiegel entdecken und entfernen soll. Dazu muss der tierische Proband zunächst begreifen, dass das Wesen mit dem Fleck er selbst ist und nicht etwa ein Artgenosse.
Zweitens muss ihn der Fleck stören, so wie es bei einem Menschen der Fall wäre. Und das ist das Problem: Die Versuchsanordnung schließt so stark vom menschlichen Verhalten auf das unterschiedlichster Tierarten – sogar Mantarochen sind damit untersucht worden – , dass viele Verhaltensforscher den Spiegel-Test ablehnen. Auch liefert er keine Antwort auf die Frage. Denn ein Tier, das den Fleck an sich nicht entfernt, kann trotzdem ein Bewusstsein seiner selbst haben. Vielleicht empfindet es nur die Markierung nicht als störend. Oder sein Hauptsinn, mit dem es sich und die Welt erkundet, ist nicht der Sehsinn. Hunde etwa fallen reihenweise durch den Spiegel-Test, da ihre Welt vom Geruchssinn dominiert wird.
Ist es ein Zeichen von Intelligenz, dass Schimpansen im Serengeti-Park in Hodenhagen Fußball spielen? Oder eher nicht? © dpa / Peter Steffen
Ein guter Test lässt keine Interpretationsspielräume zu. Doch solche Tests zu entwerfen, ist eine Herausforderung. Das zeigen die Studien zur sogenannten theory of mind, der Fähigkeit, die Welt aus den Augen eines anderen zu sehen. Eine Fähigkeit, die man lange nur Menschen zutraute. Dazu gehört, bei anderen ein bestimmtes Wissen zu vermuten, das die eigenen Handlungen beeinflusst. Inzwischen weiß man: Das können auch einige Tierarten. Schimpansen, Hunde und – Raben.
Im Kopf der anderen
Raben sind Futterdiebe, darum verstecken sie ihre Beute vor Artgenossen. Eigentlich eine gute Ausgangslage, um zu testen, ob Raben wissen, was in anderen vorgeht. Doch stets blieben bei den vorangegangenen Versuchen, die der Wiener Biologe Thomas Bugnyar 2016 durchführte, Zweifel: Versetzten sich die Vögel wirklich in die Vorstellungswelt ihrer Artgenossen? Oder ließen sie sich einfach nur von deren Blicken leiten?
Ein Rabe, der sich von Beobachtern in seinem Verhalten beeinflussen lässt, mag kombinieren und schlussfolgern, aber er zeigt keine theory of mind. Die kommt erst dann zum Vorschein, wenn ein Tier von sich auf andere schließt, ganz egal, was seine Artgenossen tun. Erst dann geht es tatsächlich um eine innere Welt, um ein Vorwegnehmen der Perspektive eines anderen, weil man sich selbst in Gedanken an dessen Stelle setzt. Doch wie lässt sich das bei Raben zeigen?
Bugnyar löste das Problem akustisch, mithilfe von Playbacks. Wo kein anderer Rabe da war, gab es auch keine verräterischen Blicke. Zugleich musste dem Versuchstier aber klargemacht werden, dass sich in direkter Nähe ein Konkurrent aufhielt – und ihm zusah. Während des Experiments hockte der Testvogel in einer Voliere und hörte die Rufe seines Nachbarn, abgespielt von einem Band. Zwischen die sichtgeschützten Käfige hatte Bugnyar Gucklöcher eingebaut, die er abwechselnd offen ließ oder geschlossen hielt. Alle neun Raben, die am Experiment teilnahmen, hatten zuvor gelernt, dass der Nachbarvogel sie bei offenem Guckloch sehen konnte. Und dass er das nicht konnte, wenn es geschlossen war.
Fühlt sich ein Rabe beobachtet, zeigt er das in seinem Verhalten. Er beeilt sich mit seinem Versteck und lässt es dann in Ruhe, damit der andere keinen Verdacht schöpft. Geht er davon aus, allein zu sein, kann er sich intensiv mit der Tarnung beschäftigen. Er verbessert sie, legt noch ein Stöckchen obendrauf. Trägt das Futter woanders hin, bis er zufrieden ist.
Und genau so verhielten sich alle neun Raben im Experiment. Hörten sie die Rufe des Nachbarn und stand das Guckloch offen, versteckten sie rasch ihr Futter. Bei geschlossenem Guckloch verschönerten sie dagegen ausgiebig ihr Versteck. Sie gingen davon aus, dass der andere sie nicht beobachten konnte.
Nach über neun Jahren erinnerten sich Galapagos-Riesenschildkröten noch immer an das in einem Versuch von Verhaltensforschern Gelernte. © imago/robertharding / imago stock&people
Zwei Vögel hatten wohl sogar verstanden, was ein toter Winkel ist. Sie versteckten ihre Beute direkt unterhalb des Gucklochs, also genau da, wo der Nachbarvogel sie auf keinen Fall sehen konnte. Bugnyars Probanden zeigten also, dass sie sich in ihre Artgenossen hineinversetzen konnten. Sie hatten eine Vorstellung davon, was ihr Nachbar sehen konnte, ohne dass er da war. Dieses Experiment gilt als erster erfolgreicher Nachweis einer theory of mind bei Raben.
Einige Jahre zuvor hatte die Biologin Juliane Kaminski am Leipziger Max-Planck-Institut einen Versuch namens „Schimpansen-Schach“ durchgeführt. Darin zeigten zehn Schimpansen, dass sie sich nicht nur vorstellen konnten, was ein Artgenosse gesehen hat. Sondern auch, dass sie dieses Wissen strategisch nutzten.
In Kaminskis Schach-Studie saßen zwei Schimpansen an einem Tisch, getrennt durch eine Plexiglasscheibe. Auf dem Tisch standen drei Becher. Kaminski hatte sie umgedreht und unter einem ein Futterstück versteckt. Der Trick war, dass nur einer der beiden Affen wusste, wo es lag. Den zweiten hatte ein Sichtschutz am Zuschauen gehindert – was wiederum Affe eins mitbekommen hatte. Es gab also folgende Situation: Einer von drei Bechern enthielt eine Belohnung, und nur einer der beiden Schimpansen wusste davon.
Bevor das Spiel losging, versteckte Kaminski ein weiteres Futterstück unter einem der Becher, nun aber offen sichtbar für beide Tiere. Schimpanse eins hatte also Kenntnis von zwei Happen, der andere nur von einem. Dann wurde gespielt. Zuerst war jener Affe dran, der strategisch im Nachteil war, weil er nur von einem Futterstück wusste. Er sollte per Fingerzeig einen Becher auswählen. Doch diese Wahl lief geheim ab. Der zweite Spieler saß jetzt hinter einer Barriere und durfte nicht zusehen.
Dann kam der entscheidende Schachzug: Welchen Becher würde der zweite Schimpanse nehmen – also das Tier, das von zwei Happen wusste? Ein Mensch würde strategisch vorgehen und damit rechnen, dass sein Mitspieler den Becher gewählt hatte, von dessen Inhalt er wusste. Ergo gab es noch den zweiten Becher mit einem Futterhappen, und auf den würde der Mensch zeigen.
Exakt das tat nun auch der Schimpanse. Er verhielt sich taktisch und entschied sich für den Becher, von dessen Inhalt nur er wusste.
Sind auch Reptilien intelligent?
Dass Schimpansen Intelligenz zeigen, ist noch nachvollziehbar. Aber sind auch Reptilien, Fische oder gar Insekten zu intelligenten Handlungen fähig?
Die Lernfähigkeit von Bartagamen ist abhängig von der Temperatur, mit der ihre Eier ausgebrütet wurden. © Thilo Rückeis TSP
Ende 2019 erschien die Studie eines israelisch-österreichischen Forscherteams, das Galapagos-Riesenschildkröten darauf trainiert hatte, in Bälle einer bestimmten Farbe zu beißen. Andere Farben sollten die Tiere links liegen lassen. So wurden die einen Schildkröten auf Gelb trainiert, andere auf Rot oder Blau. Jene Tiere, die ihre Aufgabe deutlich schneller meisterten, hatten in der Gruppe gelernt. Offenbar half ihnen die Beobachtung ihrer Artgenossen.
Verblüffend war allerdings ihre Gedächtnisleistung: Nach neun Jahren wurden drei der Riesenschildkröten abermals mit ihrer alten Aufgabe konfrontiert. Jedes Tier erinnerte sich noch immer exakt an die Farbe, die es einst gelernt hatte.
Wie anders tierische Intelligenz ist und dass sie nicht aus menschlicher Perspektive erforscht werden kann, zeigen Beobachtungen von Samt-Geckos. Deren Lernleistung ist offenbar abhängig von der Bruttemperatur ihrer Eier. Steigen die Temperaturen klimawandelbedingt an, lernen Tiere, die sich unter diesen Bedingungen entwickeln mussten, schlechter, wo sich ein für sie geeigneter Unterschlupf befindet, als ihre unter kühleren Temperaturen ausgebrüteten Artgenossen. Ähnliches ergab eine Studie an Bartagamen.
Um auf solche Gedächtnisleistungen zu stoßen, muss man sie allerdings finden wollen. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte sich kein Mensch auf die Suche gemacht nach Grips in einem Reptiliengehirn. Das gelingt der Verhaltensforschung erst, seitdem sie sich von ihrem Vorurteil befreit hat, dass Tiere nicht denken können. Auf der Suche nach fremden Intelligenzen ist noch viel zu entdecken. Auf Erden.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de