© picture alliance/dpa/XinHua/Dong Jianghui Update Flucht vor der Hitze : Klimawandel lässt Lebensräume dramatisch schrumpfen
Einer neuen Studie zufolge werden Ende des Jahrhunderts ein Drittel der Menschheit nicht mehr in Klimanischen mit angenehmen Lebensbedingungen wohnen. Die Politik sollte sich auf Klimaflüchtlinge einstellen.
Von Jan Kixmüller
Die Menschen haben es gerne warm – aber nicht zu warm. Über die Jahrhunderte haben sie sich bevorzugt in Regionen der Erde angesiedelt, in denen die Jahresmitteltemperaturen moderat sind. Ein internationales Forschungsteam um Timothy M. Lenton vom Global Systems Institute der britischen Universität Exeter hat nun berechnet, dass angesichts steigender globaler Temperaturen in Zukunft immer weniger Menschen in solchen Klimanischen leben können.
Ende des Jahrhunderts dürften demnach rund ein Drittel aller Menschen der Erde (22 bis 39 Prozent) in klimatisch schwierigen Regionen außerhalb der sogenannten Klimanische leben. Mehr als ein Fünftel der Menschheit sei dann sogar gefährlicher Hitze ausgesetzt. Als Klimanische definieren die Forschenden einen Temperaturbereich, in dem sich Menschen aufgrund günstiger klimatischer Bedingungen besonders häufig niedergelassen haben.
Die optimale Jahresmitteltemperatur dieser Nische liegt demnach bei etwa elf bis 15 Grad Celsius (Deutschland 2022: 10,5 Grad), an Orten mit durchschnittlich etwa 13 Grad gab es die meisten Ansiedlungen. Wird dieser Bereich über- oder unterschritten, können zum Beispiel Erkrankungen und Sterblichkeit zunehmen oder sich Migrationsbewegungen verstärken. Höchsttemperaturen von 22 bis 26 Grad werden bevorzugt, über 28 Grad nimmt das Wohlbefinden ab.
Wenn die demografische Entwicklung in die Betrachtung zusätzlich einbezogen wird, kommen die Forschenden sogar auf rund 40 Prozent an Betroffenen. Sie erwarten, dass besonders viele Menschen in Indien, Nigeria und Indonesien betroffen sein werden, Burkina Faso, Mali und Katar würden dann nahezu komplett außerhalb der Klimanische liegen. Heute bereits sind es über 600 Millionen Menschen, die der Klimawandel aus der Wohlfühlnische herausgeholt hat, schreiben die Forschenden.
Bis zum Ende des Jahrhunderts ist der Studie zufolge eine Großzahl der Menschen beispielloser Hitze ausgesetzt. Hier Flüchtende während einer Dürre in Ostafrika 2011. © picture alliance / dpa
Bis zum Ende des Jahrhunderts sei eine Großzahl der Menschen beispielloser Hitze ausgesetzt. „Schon heute sind circa 60 Millionen Menschen gefährlich hohen Temperaturen ausgesetzt, also Durchschnittstemperaturen von 29 Grad Celsius oder mehr. Wird der gegenwärtige Kurs beibehalten und eine Politik verfolgt, die voraussichtlich zu einer Erwärmung um 2,7 Grad Celsius führt, könnte diese Zahl bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Milliarden Menschen ansteigen“, sagt Boris Sakschewski vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), einer der Ko-Autoren der Studie.
„Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit entschlossenerer politischer Maßnahmen, um die menschlichen Kosten und Ungleichheiten des Klimawandels zu begrenzen“, schreiben die Autor:innen. Denn je 0,3 Grad vermiedenem Temperaturanstieg rechnen sie mit 350 Millionen Menschen, die weniger betroffen sein werden.
28Grad ist die Grenze, ab der das Wohlbefinden abnimmt.
Die Forschenden gehen von einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur von 2,7 Grad aus, die beim Fortführen der gegenwärtigen Klimapolitik zu erwarten wäre. Sollte das Paris-Ziel erreicht und die Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden, wären immerhin noch 14 Prozent der Weltbevölkerung außerhalb der Klimanischen, schreiben die Forschenden in der aktuelle Studie im Fachmagazin „Nature Sustainability“.
„Die Kosten der globalen Erwärmung werden oft in finanziellen Begriffen ausgedrückt, aber unsere Studie unterstreicht die phänomenalen menschlichen Kosten, die entstehen, wenn der Klimanotstand nicht angegangen wird“, sagte Tim Lenton einem Pressestatement zufolge.
Ist Anpassung möglich?
Angesichts dieser Ergebnisse stellt sich die Frage, inwiefern eine Anpassung an die Bedingungen außerhalb der Klimanische möglich ist. Einer solchen Anpassung sind Grenzen gesetzt, betont dazu die Entwicklungsgeografin Lisa Schipper, von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, die an der Studie nicht beteiligt war. Oberhalb einer Erwärmung von 1,5 Grad verliere eine Akklimatisation angesichts von Wetterextremen an Wirksamkeit, erklärte sie gegenüber dem Science Media Center Deutschland (SMC).
Im indischen Bihar fliehen Menschen vor Überschwemmungen, die durch starke Regenfälle und Gletscherschmelze an einem Nebenfluss des Ganges ausgelöst wurden. © imago images/Joerg Boethling/Joerg Boethling via www.imago-images.de
Auch Richard J.T. Klein, Leiter des Teams International Climate Risk and Adaptation und an der Studie nicht beteiligt, erwartet, dass Anpassung für viele betroffenen Menschen keine Option ist. Sie sei technisch zwar fast immer möglich. Doch Klimatisierung von Gebäuden und Lebensmittelimporte könnten sich nur Menschen leisten, die die Mittel dazu haben. Der Forscher des Stockholm Environment Institute in Schweden hält daher eine „größere Zahl“ von Klimaflüchtlingen für möglich.
Allerdings sollte aufgrund der Studie nicht Panik geschürt werden, dass die Zahl der Flüchtlinge nach Europa steige. Vielmehr zeige die Untersuchung, „dass es immer wichtiger wird, die Menschen vor Ort zu unterstützen und die weitere Erwärmung dringend zu begrenzen.“
Auf Migration einstellen
Lisa Schipper erwartet ebenfalls keine Massenflucht durch den Klimawandel. Vor allem Menschen, die die Mittel dazu haben, dürften aber versuchen, umzusiedeln: „Die internationale Klima- und Entwicklungspolitik sollte diesen Prozess unterstützen, aber nicht die Finanzierung der Orte einstellen, die nicht in die menschliche Klimanische fallen.“
Arme Menschen haben weniger Möglichkeiten zur Anpassung oder Migration – doch gerade diese Länder werden aus der menschlichen Klimanische herausfallen
Christian Franzke, Center for Climate Physics der Pusan National University
Christian Franzke, vom Center for Climate Physics der Pusan National University in Südkorea, sieht eine Anpassung an die neuen Bedingungen für machbar, betont aber, dass dies auch Geld koste. Zumeist seien es auch Menschen aus reichen Ländern, die sich auf die neuen Begebenheiten einstellen oder in kühlere Gegenden auswandern könnten.
„Arme haben weniger Möglichkeiten dazu – doch gerade diese Länder werden aus der menschlichen Klimanische herausfallen.“ In Entwicklungsländern, in denen die meiste Arbeit draußen stattfinde, könnten immerhin die Arbeitszeiten als Anpassung geändert werden. Zudem müssten legale Migrationswege geschaffen werden, um sich auf eine anwachsende Zuwanderung einzustellen.
Wichtige Faktoren unberücksichtigt
Klimaforscher Klein merkte zu der „Nature“-Studie allerdings auch an, dass sie eine Reihe wichtiger Faktoren nicht berücksichtige. So könnten auch innerhalb der Klimanische Dürren, Wüstenbildung und Überschwemmungen auftreten, die die Regionen unbewohnbar machen: „Es gibt Regionen innerhalb der menschlichen Klimanische, die aus anderen Gründen unbewohnbar werden könnten.“
Zudem sollte berücksichtigt werden, dass es auch andere Gründe für ein Leben in den Klimanischen gebe, wie etwa biografische Umstände: „Zum Beispiel befinden sich eine Reihe großer Flussdeltas in diesen Zonen, die in der Vergangenheit viele Menschen angezogen haben, sich hier niederzulassen.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de