© Redferns/Venla Shalin
Dutzende Frauen erheben teils schwere Vorwürfe gegen die Rockband Rammstein. Im Zentrum dabei: die sogenannte „Row Zero“, in die Band und ihre Mitarbeiter wohl vor allem junge Frauen laden.
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Mache Texte scheinen im Rückblick fast programmatisch. „Ich will“, wiederholt Till Lindemann, Sänger der deutschen Rockband Rammstein, im gleichnamigen Song aus dem Jahr 2001. „Ich will, dass ihr mir vertraut / (…) Ich will, dass ihr mich gut seht.“
Glaubt man den Anschuldigungen, die mehrere Frauen und teils unter eidesstattlicher Versicherung erhoben haben, dann hat Lindemann über Jahre hinweg genau das bekommen, was er wollte. Und nicht nur das. Sein Wollen wurde womöglich zur Grundlage eines gut geölten Systems. Eines, das scheinbar sicherstellte, dass dem Frontmann regelmäßig junge Frauen zugeführt wurden.
Dabei geht es um das Machtgefälle zwischen gefeiertem Superstar und oft sehr jungen weiblichen Fans. Und um ein ominöses Konstrukt namens „Row Zero“, das ausschließlich jungen Frauen kostenlosen Zugang zu Konzerten inklusive Pre- und Afterparty ermöglicht.
Aber worum genau handelt es sich dabei? Anhand der Aussagen von Zeuginnen in sozialen Medien, öffentlich zugänglichem Foto- und Videomaterial sowie Gesprächen mit Betroffenen lässt sich das System rekonstruieren.
Das Casting
Ein Rammstein-Konzert ist nicht nur laut – sondern auch heiß. Wegen der exzessiv eingesetzten Pyrotechnik nennt man die erste Reihe bei den Konzernen auch „Feuerzone“. Wer hier stehen will, zahlt mindestens 200 Euro pro Ticket. Weiter vorne stehen nur der Sicherheitsdienst und die „Row Zero“.
Für letztere, einen Bereich links und rechts der Bühne, gibt es keine Tickets. Hierher wird man eingeladen. Oder besser gesagt: ausgewählt.
Vor allem junge Frauen werden mutmaßlich für die „Row Zero“ bei Rammstein-Konzerten ausgewählt. Hier 2022 im dänischen Aarhus. © IMAGO/Sebastian Dammark
Das läuft übereinstimmenden Berichten zufolge ab, wie eine Rekrutierung. Junge Frauen sollen, so legen es unter anderem Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) und der „Tagesschau“ nahe, teilweise schon lange vor dem Konzert aktiv angeworben werden.
Die Darstellungen decken sich mit den Beschreibungen von Frauen, die in den sozialen Medien von ihren Erfahrungen berichten. Der Tagesspiegel hat Dutzende von ihnen gesichtet. Sie lassen sich zwar inhaltlich nicht unabhängig überprüfen, zeichnen aber ein klares Bild.
Ich wunderte mich über die Einladung, weil ich eigentlich gar kein Fan bin.
Eine junge Litauerin berichtet bei Tiktok über ihre Erlebnisse in der „Row Zero“
„Ich wurde eine Woche vor dem Konzert im litauischen Vilnius von Alena M. auf Instagram eingeladen“, sagt eine junge Frau in einem Video auf Tiktok. „Ich wunderte mich, weil ich kein Fan der Band bin, dachte aber, es würde bestimmt Spaß machen.“ Sie sei zu einem Gruppenchat auf Whatsapp hinzugefügt worden, wo ihr alle nötigen Infos durchgegeben wurden. Auch der Dresscode: feminin, Make-up, Cocktailkleider. Nur bitte keine Rammstein-Shirts, wie die „SZ“ berichtet.
Das Vorspiel
Eine solche Einladung bezieht sich offenbar seit Jahren nicht nur auf das Konzert selbst. Sondern auch auf zwei Partys: vor und nach dem Auftritt. Dabei sollen die jungen Frauen die Möglichkeit bekommen haben, die Band, vor allem aber Sänger Till Lindemann, persönlich zu treffen.
Für Fans ein unvergessliches Erlebnis – das in manchen Fällen wohl zum Albtraum wurde. Denn Recherchen von „SZ“ und „Tagesschau“ legen nahe, dass es sich bei dieser Pre-Party zumindest in einigen Fällen um eine Art „Fleischbeschau“ gehandelt haben soll. Eine Gelegenheit, jene Frauen auszuwählen, die später auf die Aftershow-Party und womöglich auch mit ins Hotel oder private Zimmer kommen dürfen.
Mich schockierte, wie jung und unschuldig diese Frauen waren.
Marie, Rammstein-Fan aus Dänemark über die „Row Zero“ in Klagenfurt und Berlin
Marie hat diese Auswahl bei einem Rammstein-Konzert in Vilnius miterlebt. Ihren Nachnamen möchte die Dänin aus Angst vor Anfeindungen nicht in der Zeitung lesen. „Ich habe gesehen, wie ein Mitglied der Rammstein-Crew namens Joe L. junge Frauen, die ganz offensichtlich betrunken waren, herumgeschubst hat und dabei ziemlich sauer wirkte“, sagt sie dem Tagesspiegel. „Später gab er einigen Frauen Tickets zur Aftershow-Party, aber nur die hübschen bekamen eins, die älteren oder etwas dickeren nicht.“
Sie habe, so Marie weiter, ein ähnliches Vorgehen schon bei anderen Rammstein-Shows beobachtet. Etwa in Klagenfurt und im Velodrom in Berlin: „Mich schockierte, wie jung und unschuldig diese Frauen waren“, sagt sie. „Sowas habe ich noch bei keinem anderen Konzert gesehen.“
Eine der Ausgewählten schildert ihre Erlebnisse wenig später auf Tiktok: „Nachdem wir backstage gebracht wurden, tauchte plötzlich Joe L. auf und sagte in rauem Ton zu uns: ,Okay, stellt euch in einer Reihe auf’“, sagt sie in einem Video. Dann habe L. Fotos von allen anwesenden Frauen gemacht.
In der Folge seien sie und andere Frauen einen Raum im Backstage-Bereich gebracht worden, wo sie in einem kleinen Raum Sänger Lindemann treffen sollten. Alkoholische Getränke hätten bereitgestanden, Wodka und Tequila. Lindemann soll mitgetrunken und, so erzählt es die junge Frau, nach jedem Getränk das Glas zertrümmert haben.
Die Show
Während des eigentlichen Konzerts sollen die Frauen, so erzählen es viele von ihnen in den Sozialen Medien, vor allem eins tun: möglichst viele Videos und Bilder auf Instagram und Tiktok posten. Das habe man ihnen explizit so gesagt.
Es kursieren zudem Gerüchte, dass bei einzelnen Konzerten Frauen aus der „Row Zero“ heraus hinter die Bühne gebracht worden sein sollen, um in Konzertpausen Lindemann zu treffen – und womöglich mit ihm Sex zu haben. Bestätigen lassen sich diese bislang nicht.
Till Lindemann (r) feuert auf der Bühne mit einem Flammenwerfer auf Band-Mitglied Christian „Flake“ Lorenz (l). © picture alliance/dpa/Malte Krudewig
Allerdings zitiert die „Neue Züricher Zeitung“ eine Frau, die nach eigenen Angaben während eines Konzerts in Klagenfurt von Alena M. zu Lindemann geführt wurde. In einem kleinen Raum, in dem sie mit dem Sänger allein gewesen sein will, soll es zu einem Kuss gekommen sein. „Der ging klar von mir aus“, wird die Frau zitiert. „Till hätte nichts versucht.“
Das offene Ende
Am Ende des Konzerts erhalten einige Frauen aus der „Row Zero“ ein Armband – Zugang zur Aftershow-Party. Was genau dort passiert, darüber gibt es verschiedene Darstellungen. Die „SZ“ schreibt, es gebe im Grunde zwei Partys: die mit der Band und die mit Lindemann. Erstere sei harmlos, zweitere womöglich anzüglicher. Was genau auf diesen Partys passiert, scheint von Konzert zu Konzert unterschiedlich.
Was dutzende Frauen online berichten: Zunächst geht es für sie in einen Raum hinter der Bühne. Die Stimmung wird als gelöst beschrieben „Wir rauchten, tranken, tanzten, unterhielten uns“, drückt es eine junge Frau aus. Das bestätigt eine andere gegenüber der „NZZ“: Sie sei sogar kurz mit Lindemann alleine gewesen, es sei aber nichts passiert. Später am Abend sei sie gefragt worden, ob sie mit Lindemann in dessen Hotel wolle. Sie habe abgelehnt, aber drei Frauen seien mitgegangen. „Das schien alles cool“, wird sie zitiert.
Grenzen überschritten? Rammstein-Frontmann Till Lindemann sieht sich Vorwürfen mehrerer Frauen gegenüber. © Sebastian Dammark/Imago
Das scheint jedoch nicht auf alle Situationen zuzutreffen. Die „SZ“ berichtet unter anderem, dass Frauen auf diesen Partys aktiv gefragt worden sein sollen, ob sie Sex mit Lindemann haben würden.
Eine soll sogar eidesstattlich versichert haben, dass ihr klar kommuniziert worden sei, dass es den Zugang zu Konzert und Aftershow-Party nur bei Interesse an Geschlechtsverkehr mit Lindemann gebe – und dass der inzwischen 60-jährige nur sehr junge Frauen dabeihaben wolle.
In einem weiteren Fall berichtet eine Frau laut „SZ“ und „Tagesschau“, nach einer Aftershow-Party Lindemanns besinnungslos auf einem Hotelbett gelegen zu haben. Laut ihren Erinnerungen habe der Sänger auf ihr gelegen, als sie wieder zu sich gekommen sei. Er habe sie gefragt, ob er aufhören solle. „Und ich wusste nicht einmal, womit er aufhören will.“
Eine Frau, die in Vilnius auf besagter Party gewesen sein will, berichtet hingegen auf Tiktok, sie habe an jenem Abend schon früh gemerkt, um was es wirklich gegangen sei. Und habe den Backstagebereich verlassen. Erst am nächsten Morgen habe sie realisiert, wie schlimm das Vorgehen der Band und ihrer Mitarbeiter gewesen sei: „Dass es sich nämlich um systematischen Machtmissbrauch gehandelt hat“, sagt sie in einem von ihr aufgenommenen Video.
- Rammstein
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de