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Vor zehn Jahren entführte die islamistische Terrorgruppe Boko Haram 276 Schülerinnen. Die Welt war entsetzt. Wie viele Mädchen gerettet wurden – und was mit ihnen geschah.
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Die Massenentführung von 276 Internatsschülerinnen entsetzte vor zehn Jahren die Welt. Staatschefs gaben große Versprechen, entsandten sogar Soldaten, doch viele der Mädchen sind noch immer in den Sümpfen des Sambisa-Waldes verschwunden. Was damals geschah und heute noch immer in Nigeria geschieht.
1 Mit Gewehren geweckt
Die Schülerinnen schliefen nichtsahnend, als Islamisten in der Nacht zum 15. April 2014 vor dem Mädcheninternat im nigerianischen Chibok hielten und bewaffnet von ihren Lastern sprangen. Laut Augenzeugenberichten gaben sich die Boko-Haram-Kämpfer zunächst als Mitglieder der nigerianischen Streitkräfte aus und zwangen schließlich 276 Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren auf ihre Fahrzeuge. Rund 50 gelang auf dem Weg in den Sambisa-Wald oder kurz danach die Flucht. Die meisten entkamen nicht.
Boko Haram will in Nigeria einen islamischen Staat errichten, in dem die Scharia gelten soll. Die überwiegend christlichen Schülerinnen wurden deswegen genötigt, zum Islam überzutreten und die Fundamentalisten zu heiraten. Weltweit sorgte die Massenverschleppung für Entsetzen. Prominente bis hinauf zur damaligen US-First-Lady Michelle Obama unterstützten die Solidaritätskampagne „Bring Back Our Girls“ („Bringt unsere Mädchen zurück“). Ex-Präsident Barack Obama half bei der Suche nach den Opfern mit Aufklärungsflugzeugen, Drohnen und Soldaten.
2 Frei und gefangen
In den vergangenen zehn Jahren wurden einige Mädchen vom Militär befreit oder durch Verhandlungen mit den Terroristen in Sicherheit gebracht. So kamen 2017 zum Beispiel 82 Schülerinnen frei. In der offiziellen Mitteilung des damaligen Präsidenten Muhammadu Buhari hieß es: „Nach langwierigen Verhandlungen haben unsere Sicherheitsdienste diese Mädchen zurückgeholt, im Austausch für einige von den Behörden festgehaltene Boko-Haram-Verdächtige.“
2020 wurde vor der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln gegen die Verschleppung der Schulmädchen demonstriert.
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Nach ihrer Befreiung berichteten Mädchen in wenigen Interviews von Zwangsverheiratungen, häufigen Vergewaltigungen und ungewollten Kampfeinsätzen für die Islamisten. Amnesty International sprach vor einem Jahr mit fünf Chibok-Schülerinnen.
Eine sagte über die Zurückgebliebenen: „Jeden Morgen beim Aufwachen denke ich daran, in welcher Verfassung ich sie zurückgelassen habe. Ich weine und habe Mitleid mit ihnen.“ Ein Elternteil erzählte der NGO: „Unser Schmerz ist unermesslich, denn 14 der Mädchen sind mit 24 Kindern zurückgekommen. Bei uns sind Enkel, deren Väter wir nicht kennen.“
3 Weniger Einschulungen
Laut Amnesty International sind noch immer 98 Chibok-Mädchen in Gefangenschaft. Gleichzeitig hat Boko Haram seit 2014 immer wieder Schulen angegriffen und Kinder entführt. Allein in diesem Monat sind in Nigeria mehr als 400 Menschen verschwunden, unter anderem 287 Mädchen und Jungen aus einer Grundschule. Hunderte von Angreifern brausten laut Amnesty International auf Motorrädern heran und verschwanden mit ihnen. Bisher hat sich noch niemand öffentlich zu der Tat bekannt.
„Die Sicherheitsmaßnahmen, die Präsident Tinubu und seine Regierung ergriffen haben, funktionieren eindeutig nicht“, sagt Isa Sanusi, Direktor von Amnesty International Nigeria. Darüber hinaus hätten es die Behörden bislang versäumt, Sicherheitspläne für Schulen in gefährdeten Gebieten aufzustellen.
Und so geschieht, was Boko Haram (übersetzt: „westliche Bildung ist Sünde“) erreichen möchte: mehr als 600 Schulen wurden in Nigeria bereits aus Angst geschlossen – und es werden weniger Kinder eingeschult. Vor allem noch weniger Mädchen.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de