8000 Jahre alte Festung in Sibirien : Siedlungsbau auch ohne Landwirtschaft

© Nikita Golovanov

8000 Jahre alte Festung in Sibirien : Siedlungsbau auch ohne Landwirtschaft

Ein Team um Archäologinnen der Freien Universität Berlin konnte im steinzeitlichen Sibirien eine dauerhafte Siedlung nachweisen. Dass dies nicht mit Landbau und Viehzucht einherging, stellt bisherige Theorien zur Entstehung früher Gesellschaften infrage.

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Irgendwann begannen Jäger und Sammler, Getreide anzubauen und Vieh zu züchten – und wurden sesshaft: So lautet die bis heute verbreitete Erzählung über den prähistorischen Ursprung von Gesellschaften. Die Ausgrabungen rund um eine 8000 Jahre alte befestigte Siedlung in der sibirischen Taiga rüttelt nun an der damit einhergehenden Vorstellung, dass solche Bauten eine bäuerliche Lebensweise voraussetzten. Laut der deutschen und russischen Archäolog:innen, die die Ergebnisse jetzt in der Zeitschrift Antiquity veröffentlichten, ist dies die älteste bisher bekannte Siedlung der Welt.

Es seien Jäger und Sammler gewesen, die um einige Häuser Wallanlagen bauten und eine differenziertere Lebensweise entwickelten, schreibt das Team um Henny Piezonka von der Freien Universität Berlin zu der „Amnya“ genannten Grabung im westlichen Sibirien. Beteiligt an den Feldforschungen von 2019 waren auch Forschende von den Universitäten Kiel und Jekaterinburg.

Per Radiokarbonmethode konnten die Archäolog:innen die Hauptsiedlungsphase aufs frühe sechste Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung datieren. Zur Einordnung verglichen sie die Daten mit früheren Ausgrabungen der Stätte mit insgesamt zehn Festungsanlagen, nutzen keramische Typologien sowie Studien zur Paläobotanik.

Fischfang und Wildjagd

Gerade die Keramikfunde sprechen der Studie zufolge dafür, dass die Steinzeitmenschen hier vor allem vom Fischfang im gleichnamigen Fluss lebten, vorbeiziehende Elch- und Rentierherden jagten. Vermutlich aufgrund dieser sich verstärkenden „Wirtschaft“ und Zulauf aus anderen Regionen habe sich hier eine Siedlung entwickelt.

So konservierten und lagerten die Jäger und Sammler von Amnya, wie das Paper schildert, Nahrungsmittel: Fischöl, gefrorenes Fleisch und getrocknete Vögel. Belege dafür fanden die Forschenden an verzierten Töpferwaren. Weil die Steinzeitmenschen dank des „reichen Ökosystems“ in Westsibirien Vorräte anlegen konnten, die haltbar und leicht zu transportieren waren, hätten sie diese vermutlich auch vor Plünderern schützen müssen und Wälle errichtet. Auch Ritualbauten habe es gegeben.

Mehr Menschen und Konflikte

Piezonka erläuterte in einer Pressemitteilung der FU zum Fund, die prähistorischen Bauten von Amnya, das aus zwei Siedlungsteilen auf dem Gelände besteht, sprächen deutlich für einen Bevölkerungszuwachs und ein von frühem Wettbewerb geprägtes Zusammenleben. Diese widerlege „frühere Annahmen, dass es in Jäger- und Sammlergesellschaften keine größeren Konflikte gab“, also auch Festungsanlagen erst im Zuge von landwirtschaftlicher Entwicklung entstünden.

Auf die Frage nach der Bevölkerungsgröße sagte Piezonka dem Tagesspiegel, man könne beiden Teilen von Amnya grob geschätzt davon ausgehen, dass jeweils einige Dutzend Menschen zur gleichen Zeit dort gelebt hätten. Man spreche trotz der geringen Zahl von einem Zuwachs an dem Ort, weil es hier ab 6000 vor Christus „insgesamt viel mehr Siedlungsplätze, auch in bis dahin nur dünn oder gar nicht besiedelten Regionen“ gegeben hätte.

Wie kam es zur befestigten Siedlung?

Warum genau es zu dem „beschleunigten sozialen Wandel“, also den Häusern und Festungen, in der Gegend kam, sei nicht abschließend zu klären, schreibt das Team. Jedenfalls fand er in einem Klima-Zeitalter statt, in dem es in Sibirien zur Misox-Schwankung kam, also einer Abkühlung um im Schnitt zwei Grad.

Nach einer der drei Erklärungen, die der Artikel anführt, könnte die fortschrittliche Siedlungsweise mit der Abkühlung in Verbindung und wirtschaftlichem Druck in Verbindung stehen, die neue Lagerungstechniken erforderte. Es sei aber auch möglich, dass gerade die Fülle an Nahrungsmitteln diese Lebensweise hervorbrachte und für mehr „Zusammenhalt“ und „Monumentalbau“ sorgte.

Nach einem dritten Szenario könnte diese aber auch durch Zuwanderung anderer Gruppen entstanden sein, die entweder Techniken mitbrachten oder, etwa wegen Raubgefahr, diese nötig werden ließen. Was am wahrscheinlichsten sei, könne man schwer sagen, sagte Piezonka dem Tagesspiegel. Sie halte die zwei letzteren Szenarien für gut möglich, also günstige Umweltbedingungen wie Zuzug. Es könne durchaus sein, dass „Neuankömmlinge eigene Forts errichteten, wie man das auch bei späteren europäischen Eroberungen in Nordamerika oder auch in Sibirien kennt.“

Keine Kooperation mit Russland seit dem Krieg

Zur Frage, wie sich Russlands Angriff auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 auf die deutsch-russische Kooperation ausgewirkt habe, sagte die FU-Archäologin, zuletzt habe man vor Ort in Sibirien im Jahr 2021 gemeinsam geforscht. Eine für März 2022 geplante „ethnoarchäologische Winterreise, auf der wir mit unseren indigenen Forschungspartner*innen auf die Winterjagd gehen wollten“, habe man absagen müssen. Den Richtlinien der deutschen Wissensorganisationen entsprechend würden seit dem Krieg „weder Geld noch Proben ausgetauscht“, auch plane man auch keine neuen Reisen oder Projekte, publiziere aber Ergebnisse früherer Forschungen weiterhin gemeinsam.

Piezonka betonte, die Zusammenarbeit mit Jekaterinburg sei für das Team prägend gewesen. Sie halte es für wichtig, mit Forschenden in Russland „weiterhin auf Augenhöhe in Kontakt zu bleiben und sich gerade in dieser Situation zu verständigen, denn durch Kontakt, Dialog und gemeinsam verfolgte Ziele kann die russische Zivilgesellschaft gestärkt werden.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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