© dpa / Harald Tittel 200 Missbrauchsopfer in den 60ern und 70ern: Ehemaliger Bischof von Trier soll Fälle vertuscht haben
Das Bistum Trier ist bisher von etwa 500 Opfern sexueller Gewalt ausgegangen. Die neue Aktenlage lässt jedoch eine weitaus höhere Anzahl vermuten.
Kleriker im Bistum Trier haben in den 60er und 70er Jahren ersten Forschungsergebnissen zufolge mindestens 200 Kinder und Jugendliche missbraucht. Die Forscher der Universität Trier hätten bisher 81 Beschuldigte identifiziert, heißt es in einem am Freitag in Trier veröffentlichten Zwischenbericht der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs (UAK) im Bistum Trier. Die Vergehen fallen in die Amtszeit des ehemaligen Trierer Bischofs Bernard Stein (1967-1981).
Mindestens 17 der 81 Beschuldigten sollen nach den vorliegenden Akten den Verantwortlichen bekannt gewesen sein. Insgesamt sollen sie für den Missbrauch an 305 Kindern und Jugendlichen verantwortlich sein.
Die Co-Autorin der Studie, Lena Hasse, betonte, dass es sich um Mindestzahlen handele und wahrscheinlich weitere Fälle ans Licht kämen. Der amtierende Bischof Stephan Ackermann bezeichnete die Erkenntnisse als bedrückend. Der Opferverband Missbit forderte ihn zum Rücktritt auf.
Zahlen, die das Bistum bisher für den Zeitraum 1946 bis 2021 zusammengetragen hatte, gingen von 513 Betroffenen für den gesamten Zeitraum aus. Die nun bekannten Fallzahlen aus der Amtszeit Steins seien deutlich höher als während anderer Amtszeiten, erklärte die UAK.
Bischof Stein sei an Vertuschung beteiligt gewesen
Nach Erkenntnissen der Kommission ging es in der Ära von Stein darum, „den guten Ruf von Kirche und der dieses System tragenden Gesellschaftsbereiche nicht zu gefährden“. Dabei sei die Missachtung der Missbrauchsopfer nicht nur in Kauf genommen, sondern teilweise aktiv mitbetrieben worden.
Die Pfarrer und Kaplane hätten die ihnen anvertrauten Jungen und Mädchen in Sakristeien, ihren Wohnungen, in Ferienlagern oder Freizeitheimen missbraucht. Der Bericht beschreibt in Fallbeispielen, wie die Verantwortlichen – und die Eltern in Fällen, in denen sich ihre Kinder offenbarten, aus Angst vor sozialer Ächtung – die Vorfälle unter den Teppich zu kehren versuchten.
Bischof Stein selbst sei laut Aktenlage mit elf der Fälle persönlich befasst gewesen. Er sei aber Teil des Systems gewesen. Die Kommission forderte die aktuelle Bistumsleitung erneut auf, sich von dem „systematischen Versagen zu distanzieren, deren Ursachen vollständig zu beseitigen und ihre Folgen zu mildern“.
Opferverband fordert Schuldeingeständnis
Der Opferverband Missbit forderte den amtierenden Bischof Stephan Ackermann zum Rücktritt auf. Ein Schuldeingeständnis und die Offenlegung eigener Fehler seien das Mindeste, was er der Öffentlichkeit schulde, erklärte der Verband.
Der Platz vor dem Trierer Dom trägt den Namen des ehemaligen Bischofs. © dpa / Birgit Reichert
Missbit appellierte zudem an den Trierer Stadtrat, den Bischof-Stein-Platz und eine Straße mit dem Namen des Bischofs umzubenennen und Stein die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. Der Trierer Stadtrat will sich am 1. Februar mit dieser Frage befassen.
Ackermann erklärte, die Erkenntnisse der Studie seien bedrückend. Darin sei von „unabhängiger Seite“ dokumentiert worden, was sich schon in der Befassung mit den Fällen durch die aktuell Verantwortlich abgezeichnet habe. Er sieht sich in seinem Vorgehen bestätigt. Ackermann kündigte an, dass zum 1. Januar 2023 eine neue „Ordnung zur Frage der wirksamen Aufsicht von Tätern“ in Kraft treten solle.
Das Bistum hatte vor rund anderthalb Jahren die Kommission eingesetzt. Jetzt will die Kommission die jüngere Zeit – beginnend mit der derzeitigen Amtszeit von Ackermann (seit Mai 2009) unter die Lupe nehmen. Ackermann war bis Ende September 2022 zwölf Jahre lang Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz. (epd/KNA)
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de