Als Deutsche mit neugeborenem Baby in Israel: „Es scheint, als würde sich einfach niemand um uns kümmern“

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Als Deutsche mit neugeborenem Baby in Israel: „Es scheint, als würde sich einfach niemand um uns kümmern“

© dpa/Boris Roessler Als Deutsche mit neugeborenem Baby in Israel: „Es scheint, als würde sich einfach niemand um uns kümmern“

Ihr Sohn ist erst drei Wochen alt, sie würde Israel gern verlassen. Doch Birte Brodkorb und ihre Familie schaffen das nicht. Ein Interview zum Chaos und der Verzweiflung vor Ort.

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Frau Brodkorb, Sie sind Deutsche, aber derzeit in Israel. Wie ist Ihre Lage?
Es ist eine wahnsinnig schwierige Situation. Mein Partner und ich wollen nach Deutschland ausfliegen, mit unseren zwei Kindern, doch bisher klappt gar nichts. Unsere Tochter ist 3,5 Jahre alt, unser Sohn kam vor drei Wochen zur Welt. Die angekündigten Sonderflüge sind extrem schlecht organisiert.

Was haben Sie schon probiert, um an Plätze in einem Flieger zu gelangen?
Wir haben schon mehrfach kommerzielle Flüge gebucht, die aber jedes Mal gestrichen wurden. Unsere ganze Familie steht seit langem auf der Krisenvorsorgeliste der Deutschen Botschaft. Es hieß, heute würde eine Mail kommen mit Informationen, wie es nun weitergeht. Ich habe den ganzen Tag wie auf heißen Kohlen auf diese Mail gewartet. Sie kam um fünf Uhr. Darin hieß es, ab sechs Uhr könnten wir eine Hotline anrufen. Das versuche ich seit kurz vor sechs. Jetzt ist es elf Uhr abends und ich bin noch nicht durchgekommen. Zwei Mal habe ich es in die Warteschleife geschafft, wurde dort aber irgendwann wieder rausgeworfen. Ansonsten ist immer nur besetzt.

Was hören Sie von anderen Deutschen, die in Israel leben?
Ich bin in zwei größeren WhatsApp-Gruppen. Es ist für alle ein Riesenchaos. Manche haben es geschafft, an der Hotline jemanden zu sprechen. Ihnen wurde gesagt, sie stünden nicht auf der Botschaftsliste, obwohl das nicht stimmt. Bevor Sie sich erklären konnten, wurde schon aufgelegt. Die Menschen sind verzweifelt. Die Preise für kommerzielle Flüge liegen mittlerweile bei 1000 Euro pro Person. Das ist zum Beispiel für uns unbezahlbar.

Wo in Israel sind Sie im Moment?
Wir wohnen eigentlich in Tel Aviv, sind jetzt aber bei der Familie meines Partners untergekommen. Er ist Israeli, seine Eltern leben nördlich der Stadt. Hier gibt es weniger Raketenalarme, das ist für unsere Tochter sehr wichtig.

Wie sieht der Alltag aus?
Alle stehen unter Strom, wir hängen den ganzen Tag vor den Nachrichten. Israel wird aus dem Libanon und aus Syrien angegriffen. Ständig werden Städte geräumt, die Leute sollen in die Schutzbunker. Dazu kommen vermeintliche Nachrichten, die sich als falsch herausstellen. Heute zum Beispiel war die Rede von einem Drohnenangriff aus Syrien, den es aber gar nicht gab. Und dann gehen Gerüchte um, dass noch Terroristen unterwegs sein könnten, womöglich sogar als Polizisten oder Soldaten verkleidet.

Was bedeutet das für Ihre Familie?
Wir gehen möglichst gar nicht aus dem Haus raus. Kindergärten und Schulen haben ohnehin zu, das öffentliche Leben steht still. Ich will gerne erst mal raus, zu meiner Familie nach Berlin, auch weil die sich wahnsinnige Sorgen um uns machen.

Was hören Sie von Menschen anderer Nationalitäten, die Israel verlassen wollen?
Es gibt hier eine große Expat-Community, und mein Eindruck ist, dass es für alle besser läuft als für die Deutschen. Rumänien, Norwegen, die Schweiz, Ecuador, das sind Fälle aus meinem Bekanntenkreis, wo Menschen konkret geholfen wird, das Land zu verlassen. Wir Deutschen hier in Israel fühlen uns verlassen und verlieren das Vertrauen in unseren Staat und unsere Regierung. Es scheint, als würde sich einfach niemand um uns kümmern.

Wie geht es Ihnen seelisch?
Ich fühle mich wie unter Schock, gefangen in einem kollektiven Trauma. Jeder kennt jemanden, der gestorben ist oder Angehörige verloren hat. Eine meiner besten Freundinnen war in einem der angegriffenen Kibbuzim nahe der Grenze zu Gaza. Sie hat es lebend rausgeschafft, aber einen ganzen Tag lang war uns das nicht klar und wir mussten bangen. Viele Menschen wurden ermordet, das halbe Kibbuz ist ausgelöscht. Ich war selbst vor einigen Wochen noch dort, ich kenne das Kibbuz und die Familie meiner Freundin. Ich habe einen großen Artikel über die Massaker dort gelesen, ich konnte nicht anders. Aber ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Mein Kopf und mein Herz sind schwer.

Sind Ihr Partner und Sie sich einig, das Land verlassen zu wollen?
Mein Partner möchte eigentlich nicht fliegen, aber noch weniger kann er sich vorstellen, mich und unsere Kinder alleine ausreisen zu lassen. Also wollen wir zusammen raus. Nicht für eine lange Zeit, aber bis die Lage sich stabilisiert hat. Ich brauche Ruhe für mich und unser Baby, ich bin ja eigentlich noch im Wochenbett. Es heißt, dass Angehörige mit ausfliegen können, wenn sie auf der Liste der Botschaft stehen. Das ist bei ihm seit langem der Fall. Aber wir sind sehr angespannt und streiten auch. Die ganze Situation hat am Samstag begonnen, aber mir kommt es vor, als wären es Monate.

Wie blicken Sie auf die politische Debatte in Deutschland?
Ich bin dagegen, den Gaza-Streifen absolut zu blockieren oder alle Hilfen einzufrieren. Das Leid der Zivilisten auf der einen Seite lässt sich nicht mit Leid von Zivilisten auf der anderen Seite ausgleichen. Das würde auch den Terrorismus nicht eingrenzen. Ich arbeite hier in Israel für eine Menschenrechtsorganisation. Wir setzen uns viel für die Rechte von Palästinensern in der Westbank und in Gaza ein. Das bringt mich angesichts der Ereignisse in eine emotional sehr schwierige Lage. Ich merke: Ich müsste dringend einmal durchatmen und Abstand gewinnen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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