Advent, Advent, die Mutter rennt: Kann es an Weihnachten endlich mal gerechter zugehen?
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Advent, Advent, die Mutter rennt: Kann es an Weihnachten endlich mal gerechter zugehen?
Da ist sie wieder, die besinnliche Vorweihnachtszeit. Besser bekannt als die größte Belastungsprobe für Mütter seit der Geburt ihrer Kinder. Einige Ideen, wie sich das ändern lässt.
Von Heike Kleen
Studien belegen, was Frauen schon lange wissen: Sie sind es, die in der Familie die meiste Care-Arbeit leisten und fast alles rund um Kinder und Küche organisieren.
Das ganze Jahr über rattern To-do-Listen in mütterlichen Köpfen. Nur deshalb wissen sie, in welche Kleidergrößen die Kinder gerade reinwachsen und ob neue Gummistiefel benötigt werden. Erstaunlich hoch ist die Frauenquote auch in den WhatsApp-Elterngruppen, wo ununterbrochen nach Hausaufgaben gefragt, auf Basteltage hingewiesen und an die zwei Euro für das Schulprojekt erinnert wird.
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Wenn man gerade denkt, dass es nicht schlimmer kommen könnte, steht Weihnachten vor der Tür. Jetzt potenziert sich die unbezahlte Arbeit. Schließlich will man es drinnen schön haben, während man ständig raus muss, um an Feierlichkeiten oder Flötenkonzerten teilzunehmen oder unnützen Kleinkram als Dankeschön für Feierlichkeiten oder Flötenkonzerte zu besorgen.
Gleichzeitig sollen die Kinder an unterschiedlichen Tagen Keks- oder Waffelteig in die Schule mitbringen (am Vorabend vorbereiten!), und dann müssen auch noch die Geschenke besorgt werden.
© Grafiken: Katja Berlin „Was Frauen sich zu Weihnachten wünschen“, YES Verlag/Bearbeitung: Tagesspiegel
Parallel zu dieser Aufgabenliste – und kompliziert mit ihr vernetzt – ist im mütterlichen Kopf ein weiterer Tab geöffnet, wir kennen ihn als Mental Load. Also die Denkarbeit, die keiner sieht, ohne die aber nichts funktioniert.
In der Vorweihnachtszeit bedeutet das: Rechtzeitig an Adventskalender-Inhalte, Nikolausstiefel-Füllung und einen Adventskranz denken. Sämtliche Aufführungstermine der Kinder im Blick haben und koordinieren. Den Tagesablauf an Heiligabend durchplanen. Die Wünsche der Kinder kennen, obwohl sie ihren Wunschzettel an den Elternaugen vorbei in irgendeinen Briefkasten gesteckt haben. Ein Weihnachtsessen ausdenken, das allen schmeckt, dabei Unverträglichkeiten und Allergien der Gäste kennen. Im schlimmsten Fall auch die zwischenmenschlichen Unverträglichkeiten kennen und die Gäste entsprechend einladen oder platzieren.
Wem jetzt noch nicht schwindelig ist, darf sich die Liste der klassischen Weihnachtsaufgaben ansehen, die die „Initiative Equal Care“ erstellt hat. Rund 50 To-dos hat die Initiative zusammengetragen. Von „Adventskalender füllen“ bis „Familienbesuche koordinieren“.
Praktisch bedeutet das vermutlich (Achtung, noch ein To-do): Die Frau erwirbt die Liste, druckt sie aus und fordert ihren Partner auf, sie zusammen mit ihr durchzuarbeiten. Wenn es gut läuft, hat sie am Ende NICHT wieder die meisten Aufgaben übernommen, mit der Begründung: „Ach, geht schneller, ich hab das schon tausend Mal gemacht…“
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Bleiben wir fair, die beiden Aufgaben „Baum besorgen“ und „Baum entsorgen“ sind klassischerweise beim Mann gelagert. Natur, Kraft, Wald ist eben doch alles Biologie.
Biologie wäre es nach dieser Argumentation aber auch, wenn der Mann die Frau davor schützt, dass sie sich zu Weihnachten eine Mutter-ohne-Kind-Kur wünscht oder reglos unter dem Tannenbaum liegt. Warum ist das noch immer so schwer, trotz unseres Wissens über Gleichberechtigung und ganz viel guten Willens?
Klassische Rechtfertigungen von der Männerfront lauten:
„Ich helfe total viel!“
Das ist toll und stimmt auch oft, aber helfen reicht nicht. Ein Helfer ist ein Hilfsarbeiter, der keine Verantwortung übernimmt, sondern in einem fremden Terrain einen kleinen Beitrag leistet.
Wir reden aber nicht über eine fremde Firma, in der der Mann rein zufällig zwei Stunden pro Woche als Praktikant angestellt ist. Wir reden über seine eigene Familie und seinen eigenen Haushalt, seine Kinder, seine Nahrung, seinen Müll. Sein Weihnachten. Also bitte, frisch ans Werk! Die Feminismus-Coachin Johanna Fröhlich Zapata hat dafür einen Tipp: „Nicht Einzelaufgaben, sondern Kompetenzpakete müssen übertragen werden. Wer das Essen kocht, macht auch die Essenspläne, kauft dafür ein, weiß, was wem schmeckt und räumt hinterher auf.“
© Grafiken: Katja Berlin „Was Frauen sich zu Weihnachten wünschen“, YES Verlag/Bearbeitung: Tagesspiegel
„Weihnachten ist mir nicht so wichtig wie dir!“
Ja, es gibt Menschen, die sehr hohe Erwartungen an Weihnachten haben und sehr ambitionierte Rituale pflegen. Ja, es kann sein, dass das auf mehr Frauen als Männer zutrifft. Diese Menschen sollte man entweder nicht aufhalten oder ihnen den Instagram-Account sperren.
Aber es ist kein übertriebener Einsatz, den Kindern zuliebe Traditionen einzuhalten, das Zuhause weihnachtlich zu gestalten und sich bei der Geschenkeauswahl Mühe zu geben. Wer für seine fehlende Anteilnahme damit argumentiert, dass Weihnachten ihm nicht so wichtig sei, darf auch keine Kekse mehr essen, seinen Eltern kein Bild von leuchtenden Kinderaugen vor dem Tannenbaum schicken und bekommt auch nichts zum Auspacken.
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„Ich arbeite viel mehr als du, also kannst du dich mehr kümmern!“
Das schmerzhafteste Argument. Wenn wir nur bezahlte Arbeit als Arbeit definieren, geht diese Rechnung auf. Zwei Drittel aller erwerbstätigen Mütter arbeiten hierzulande „nur“ in Teilzeit und haben damit theoretisch mehr Freizeit als ihre Partner. Studien belegen allerdings, dass Frauen weniger Zeit für Freizeitaktivitäten beanspruchen als Männer.
Das ist leicht zu erklären: Wenn Frauen nicht erwerbsarbeiten, leisten sie Care-Arbeit – und das ist auch Arbeit. Sie wird allerdings weder wertgeschätzt noch bezahlt, und Feierabend gibt es auch nicht. Wer diese Arbeit macht, hat nicht einmal Anspruch auf Urlaub oder auf Weihnachtsgeld, obwohl ausgerechnet in diesen Phasen die größte Arbeitslast anfällt. Hinzu kommt: Der Anteil der Frauen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, steigt. Die Care-Arbeit selbst wird nicht weniger. Der Anteil der Care-Arbeit, den Männer leisten, stagniert. Finde den Fehler.
© Grafiken: Katja Berlin „Was Frauen sich zu Weihnachten wünschen“, YES Verlag/Bearbeitung: Tagesspiegel
Zeit für einen Rollenwechsel. Denn auch wenn der Mann weniger Päckchen besorgt, hat er sein eigenes zu tragen. Die Feminismus-Expertin Fröhlich Zapata bittet Paare in ihrer Praxis, die Rollen und auch die Sitzplätze zu tauschen und sich in die Aufgaben des anderen hineinzufühlen. Nicht nur Männer sehen dann, was Frauen leisten, sondern auch Frauen erkennen die Last, unter der Männer in der klassischen Versorgerrolle leiden.
Die Coachin beobachtet, dass viele Paare eine gleichberechtigte Partnerschaft angestrebt haben, um alles ganz anders zu machen als ihre Eltern. Doch spätestens beim zweiten Kind wird er zum Versorger und sie zur Kümmernden. Die Folgen: Er hat keine enge Verbindung zu den Kindern und fühlt sich unter Druck, sie hat im Job den Anschluss verloren und fühlt sich nicht wertgeschätzt.
Unter dem Patriarchat mit all seinen verkrusteten Erwartungen und Rollenbildern leiden wir alle, nur auf unterschiedliche Weise. In unseren bestehenden Strukturen gleichberechtigt zu leben und gleichzeitig als Familie finanziell über die Runden zu kommen, ist Schwerstarbeit für alle Beteiligten.
Weihnachten kann dieses Fass zum Überlaufen bringen – dabei soll ausgerechnet jetzt alles perfekt sein: Das klassische Familienbild feiert Hochkonjunktur, von Liebe und Besinnlichkeit ist die Rede, im Hintergrund dudelt „Last Christmas“, und nachhaltig sollen die Geschenke auch noch sein.
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Das Stresslevel steigt, die Fassade bröckelt und womöglich ist die ein oder andere Mutter insgeheim froh, wenn alles vorbei ist. Die Grafikerin Katja Berlin spitzt das Dilemma in ihrem Buch „Was Frauen sich zu Weihnachten wünschen“ perfekt zu: „All I want for Christmas is… Einfach mal für zehn Minuten meine Ruhe haben!“
© Grafiken: Katja Berlin „Was Frauen sich zu Weihnachten wünschen“, YES Verlag/Bearbeitung: Tagesspiegel
Wie können wir das ändern?
- Bitte zunächst von der wahnwitzigen Idee verabschieden, noch in diesem Jahr alle möglichen Leute treffen zu wollen, die wir zu lange nicht gesehen haben. Voraussichtlich wird es das Jahr 2024 geben – mit genügend freien Abenden.
- Sich Zeit schenken (lassen). Wenn Verwandte fragen, was das Kind mit dem randvollen Kinderzimmer sich wünscht, gibt es nur eine Antwort: „Zeit mit dir!“ Gemeinsame Erlebnisse mit anderen Bezugspersonen sind eine Bereicherung für alle Beteiligten. Und für die Nicht-Beteiligten, denn die Eltern dürfen in dieser Zeit nichts tun. Ein Doppelwumms-Geschenk.
- Rituale, die nur anderen zuliebe gemacht werden, dürfen durch entspanntere Rituale ersetzt werden. Man muss nicht alles selber basteln, der Adventskalender-Hype ist irrsinnig und einfache Gerichte wie Würstchen mit Kartoffelsalat haben gerade an Weihnachten ihre Berechtigung.
- Ideale und Erwartungen hinterfragen: Natürlich sieht Weihnachten im Film und auf Instagram wunderschön aus. Entscheidend ist aber, wie Weihnachten sich im eigenen Zuhause anfühlt. Wenn wir den großen Zirkus für die lieben Kleinen machen, dürfen wir eins nicht vergessen: Kindern geht es am besten, wenn es ihren Eltern gut geht. Also nicht, wenn das Wohnzimmer einen Hygge-Design-Preis gewinnt, aber die darin sitzende Mutter ihren Kummer im Aperol ertränkt und der Vater auf dem Handy daddelt. Oder umgekehrt. Sondern wenn beide fröhlich und entspannt sind, Quatsch machen und Zeit haben. Alles andere ist egal.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de